New Work – Raumakustik

Hörsamkeit vs. Ungestörtheit

Große und offene Mehrpersonenbüros sind im Trend. Moderne Arbeitsplatzkonzepte, genannt Open Space oder New Work, setzen zunehmend auf flexible Strukturen. Planerinnen und Planer greifen bei der Konzeption dieser Arbeitsflächen gerne auf örtlich veränderbare Systeme sowie Möbel- und Stellelemente zurück.

Damit ein offenes Bürokonzept ein gutes Arbeitsumfeld bieten kann und damit dieses von den Nutzerinnen und Nutzern angenommen wird, ist eine abgestimmte Planung unerlässlich. Wie im ersten Teil der BM-Raumakustikserie angemerkt, ist es zielführend, Arbeitswelten individuell und auf die darin arbeitenden Personen abgestimmt zu planen. Ein bewährtes Vorgehen ist hier die Bildung eines Kollektivs aus Planern, Entscheiderinnen und Nutzern. Diese sind in der Lage, einen klaren Anforderungskatalog zu erstellen und daraus sinnvolle und zielführende Maßnahmen abzuleiten.

Bereiche auf ihre Nutzung abstimmen

Unterschiedliche Bereiche profitieren von einer auf die Nutzung abgestimmten Raumakustik. Möchten sich Nutzer konzentrieren oder gar einer Stillarbeit nachgehen, so hilft ihnen hierbei ein ruhiges Umfeld. Für Besprechungen eignen sich Räume und Bereiche mit einer hohen Hörsamkeit und der dazugehörigen Raumbedämpfung.

In Bereichen für kommunikationsintensive Nutzungen empfiehlt sich der planerische Fokus auf die Reduktion der Schallausbreitung sowie die Vermeidung einer zu hohen Sprachverständlichkeit zu benachbarten und vor allem zu weiter entfernten Arbeitsplätzen.

Variante 1

Verlauf Schalldruckpegel – relativ hohe Pegel mit ca. 60 dB(A) über den gesamten Raum bei vier gleichzeitigen Sprechern.

Variante 1

Sprachverständlichkeit; Grundgeräusch = 35 dB(A); vier gleichzeitige Sprecher:innen; hoher STI im Bereich der Sprecher, reduzierter STI (ca. 0,5) über weitere Distanzen.

Passende Orte schaffen und richtig nutzen
Tätigkeiten und Aufgaben von Mitarbeitern variieren. Nicht nur von Person zu Person, sondern auch jeder Mensch an sich ist während eines Arbeitstages mit unterschiedlichen Aufgaben beschäftigt. Dies führt dazu, dass sich Büronutzer z. B. bei kognitiv anspruchsvollen Tätigkeiten ein ruhiges Umfeld wünschen, bei einem Gespräch, Telefonat oder Video-Call unter Umständen aber selbst zu einer akustischen Störquelle „mutieren“. Entschärft werden kann das beispielsweise durch das Einrichten von temporären Rückzugsmöglichkeiten, in Form von abgeschlossenen Räumen, frei stehenden Raum-in-Raum-Systemen, stark zonierten Bereichen oder auch durch den Rückzug ins Homeoffice.

Die Nutzerzufriedenheit ist jedoch nicht ausschließlich von den räumlichen Bedingungen abhängig. So gibt es Parallelen zwischen Mehrpersonenbüros und dem gemeinsamen Wohnen in einer WG. In beiden Fällen teilen sich Menschen unterschiedliche Räume und mit steigender Anzahl an Personen erhöht sich auch das Stör- und Konfliktpotenzial untereinander. So ist es empfehlenswert, dass zu jedem räumlichen Arbeitsplatzkonzept ähnlich wie bei einer WG transparente und abgestimmte „Spielregeln“ konzipiert, eingeführt und vor allem gelebt werden.

Ausbreitung von Sprache
Bei der zwischenmenschlichen Kommunikation wird nicht nur ein Schalldruckpegel (welcher in einem Meter Abstand ca. 60 dB(A) beträgt)  erzeugt, sondern vor allem Information übermittelt. Wie gut diese bei den umgebenden Menschen ankommt, lässt sich z. B. durch den STI (Sprachübertragungsindex) darstellen.

Je höher dieser ist, desto besser wird Sprache verstanden. Für die Adressaten der Nachricht ist eine möglichst hohe Sprachverständlichkeit durchaus erwünscht. Anders sieht es aus, wenn Informationen Personen erreichen, an die sie nicht adressiert sind. Denn wenn Sprache gut verständlich ist, so können unfreiwillige Zuhörer deren Inhalt nicht einfach ausblenden oder ignorieren. Verständliche Sprache bringt somit ein mitunter großes Ablenkungspotenzial mit sich. Untersuchungen haben gezeigt, dass erst bei einem STI unterhalb von 0,50 (1) Sprache zwar noch verstanden wird, das Ablenkungspotenzial jedoch deutlich sinkt. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die kognitive Leistungsfähigkeit und somit auf die Produktivität der Personen im Raum aus, welche nicht aktiv an der besagten Kommunikation teilhaben. Erst unterhalb eines STI von 0,20 (2) bzw. wenn der Schalldruckpegel der Sprache um mehrere dB vom Grundgeräusch überlagert wird (3), ist Sprache nicht mehr oder nur noch schwer zu verstehen. Hier kann von einem gewissen Maß an Vertraulichkeit ausgegangen werden.

Variante 2

Verlauf Schalldruckpegel; Schalldruckpegel zu direkt gegenüberliegenden Arbeitsplätzen fallen im Vergleich zu Variante 1 um ca. 4 dB.

Variante 2

Sprachverständlichkeit; Grundgeräusch = 35 dB(A); 4 gleichzeitige Sprecher:innen; STI steigt im Vergleich zur Variante 1 über den gesamten Bürobereich deutlich an und verstärkt das Ablenkungspotenzial über weite Distanzen.

Pegelreduktion und Maskierung
Eine primäre Zielstellung bei der raumakustischen Planung von großen und offenen Mehrpersonenbüros ist es, wie dargestellt, das Störpotenzial, hervorgerufen durch Sprache, zu reduzieren. Das sollte nach Raumnutzung mit dem Fokus auf die Reduktion des Schalldruckpegels der Sprache sowie der damit einhergehenden Übertragung von Information und Sprachverständlichkeit geschehen. Typische Maßnahmen dafür sind beispielsweise:

  • Raumbedämpfende Maßnahmen zur Reduktion der Nachhallzeit und des Gesamtschalldruckpegels
  • Schirmende und zonierende Maßnahmen zur Reduktion der Schallausbreitung
  • Bauliche Abtrennungen oder Einhausungen durch Wände oder Raum-in-Raum-Systeme.

Zusätzlich zu diesen Optimierungen, welche durch Materialien, Möbel und/oder Bauelemente umgesetzt werden können, hat der im Raum vorherrschende Hintergrundgeräuschpegel
einen großen Einfluss auf die Sprachverständlichkeit. Nachfolgend sollen typische Maßnahmen und deren Einfluss beschrieben und zugleich praxisnah aufgezeigt werden. Hierzu wurde ein großes, offenes Mehrpersonenbüro als dreidimensionales Modell erstellt und nachfolgend drei Varianten gegenübergestellt:

Variante 1: Schallhart; ohne raumbedämpfende, schirmende oder zonierende Maßnahmen

Variante 2: Raumbedämpfende Maßnahmen, ohne schirmende oder zonierende Maßnahmen

Variante 3: Raumbedämpfende, schirmende, zonierende Maßnahmen inklusive Rückzugsräume

(Haftungsausschluss: Bei den nachfolgenden Beispielen handelt es sich um fiktive und exemplarische, raumakustische Szenarien. Diese wurden durch die Fuchs – Raumingenieure GmbH mittels einer raumakustischen Simulation in Odeon Auditorium Version 17.14 durchgeführt. Dieser Fallstudie liegen typische, jedoch nicht verallgemeinerbare Parameter zu Materialien, Einstellungen und allgemeinen Annahmen zugrunde. Diese Beispiele sind nicht auf die Einhaltung aktueller ASR überprüft und dienen ausschließlich dazu, interessierten Leser:innen einen praxisnahen Überblick und ein grundsätzliches Verständnis zu vermitteln. Es handelt sich hierbei um keine vollumfängliche Planung. Die dargestellten Werte zur Nachhallzeit, Pegeldifferenz, Sprachverständlichkeit und die hier getroffenen Ableitungen sind nicht vollständig und keinesfalls auf reale Objekte übertragbar. Jedes Mehrpersonenbüro ist einzigartig und es wird seitens des Autors dringlichst empfohlen, jedes Objekt individuell raumakustisch zu untersuchen und zu planen).

Variante 3

Verlauf Schalldruckpegel; starke Reduktion des Schalldruckpegels der Sprache über kurze sowie über weite Distanzen.

Variante 3

Sprachverständlichkeit; Grundgeräusch = 35 dB(A); vier gleichzeitige Sprecher:innen; STI sinkt bei geschirmten Arbeitsplätzen
vor allem über weite und bei zonierten und abgetrennten Bereichen bereits über kurze Entfernungen.

Var. 1: Ohne raumakustische Maßnahmen

Ein mit weitgehend schallharten Begrenzungsflächen ausgestatteter Raum ohne schirmende oder zonierende Maßnahmen ist aus raumakustischer Sicht für die Nutzung als großes Mehrpersonenbüro nicht geeignet. Die mittlere Nachhallzeit liegt in diesem Beispiel bei über 1,5 s. Ein langer Nachhall sowie ein daraus resultierender hoher Schalldruckpegel bei mehreren gleichzeitigen Sprechern wirkt hallig und laut und führt zu keiner akustischen Behaglichkeit bei den Nutzer innen und Nutzern.

Var. 2: Raumbedämpfende Maßnahmen

Wird die Nachhallzeit gesenkt, so fällt ebenso der Schalldruckpegel im Raum (3 dB pro Halbierung der Nachhallzeit). Wichtig bei der

Planung ist, dass Empfehlungen bzw. Vorgaben aus entsprechenden Regelwerken (z. B. der ASR A3.7; DIN 18041; VDI 2569; ISO 22955 usw.) beachtet werden. Würde sich eine raumakustische Planung bei einem großen Mehrpersonenbüro ausschließlich auf raumbedämpfende Maßnahmen beschränken, so würde der Schalldruckpegel im Raum wie zuvor beschrieben aufgrund einer deutlich verringerten Nachhallzeit (in diesem Beispiel als mittlere Nachhallzeit von ca. 0,6 s) abnehmen.

Sitzen Sprecherinnen und Sprecher sowie Hörerinnen und Hörer direkt gegenüber reduziert sich der Pegel in diesem Beispiel um bis zu 4 dB. Die Reduktion der Nachhallzeit führt jedoch auch dazu, dass die Sprachverständlichkeit in leisen Räumen ansteigt. Für einen direkten Austausch ist das vorteilhaft, birgt aber ein verstärktes Stör und Ablenkungspotenzial, besonders über weite Entfernungen. (Hinweis: Weitere Infos zur Nachhallzeit, Absorbern sowie Hinweise zur richtigen Positionierung finden Sie in der BM-Serie „Raumakustik“ 2018 in den Ausgaben 4, 6 und 9).

Var. 3: Raumbedämpfende, schirmende und zonierende Maßnahmen inkl. Rückzugsräume

In Variante 3 wurden neben den bedämpfenden Maßnahmen sowohl schirmende als auch zonierende Elemente eingebracht. Ebenso verfügt dieses Büro über Rückzugsräume in Form eines Einzelbüros und eines Raum-in-Raum-Systems. Bei den Schallschirmen handelt es sich um U-förmige Schreibtischabsorber, welche durch einen Glasaufsatz eine Oberkantevon ca. 1,5 m erreichen. Die zonierenden Maßnahmen bilden sich aus raumhohen und an die Fassade anschließenden Glas-Stichwänden mit vorgesetzten Absorbern auf Sprecherhöhe. Das Einzelbüro verfügt über eine „Büroquerwand“ mit einem bewerteten Bauschalldämm-Maß von R’w ca. 42 dB, einer Flurwand aus Glas mit einem R’w von ca. 37 dB und einem Türelement mit R’w ca. 32 dB.

Variante 3a

Sprachverständlichkeit; Hintergrundgeräusch = 45 dB(A) (z. B. Büro mit Besetzung und im typischen Betrieb); STI sinkt im Vergleich zu 35 dB(A) deutlich und reduziert dadurch u. U. das Ablenkungspotenzial über kurze und weitere Distanzen.

Bei direkt gegenüberliegenden Arbeitsplätzen erreicht die Kombination aus Raumbedämpfung und Schreibtischabsorbern im Vergleich zum nicht bedämpften Büro eine Schalldruckpegelminderung von ca. 8 dB. Glasstichwände im direkten Vergleich erreichen eine Pegelminderung von mehr als 20 dB. Das Raum-in-Raum-System erzielt in diesem Beispiel eine Minderung von 23 bis 27 dB und die Abtrennung des Einzelbüros zum nächsten Arbeitsplatzmehr als 32 dB. Je wirkungsvoller die akustische Schirmung, Zonierung oder Abtrennung, umso mehr reduzieren diese Maßnahmen den Schalldruckpegel. Vorteilhaft zeigt sich dies auch im Verlauf der Sprachverständlichkeit und bewirkt da, dass das Stör- und Ablenkungspotenzial bereits über kurze, besonders jedoch über längere Distanzen abnimmt.

Verbesserung der Sprachverständlichkeit

Dieser Artikel und die darin enthaltenen Praxisbeispiele zeigen raumakustische Einflussmöglichkeiten von bedämpfenden, schirmenden und zonierenden Maßnahmen. Ebenso soll aufgezeigt werden, dass durch Rückzugsräume und deren temporäre Nutzung akustisches Störpotenzial weiter reduziert werden kann. Wichtig ist ebenfalls die Erkenntnis, dass es lohnenswert ist, bei offenen und großen Mehrpersonenbüros die Schallausbreitung zusätzlich hinsichtlich der Sprachverständlichkeit zu untersuchen. Das damit einhergehende Ablenkungspotenzial kann durch die aufgezeigten Maßnahmen und ebenso durch den vorherrschenden Hintergrundgeräuschpegel beeinflusst werden. Was in diesem Artikel nicht übermittelt werden kann, ist der Höreindruck. Durch eine computergestützte, raumakustische Simulation ist es möglich, neben der Ermittlung von raumakustischen Werten und deren grafischer Darstellung ebenso eine praxisnahe Auralisation (Hörbeispiel) zu erstellen. Für eine solche sowie für weiterführende fachliche Beratungsleistungen empfehlen wir Ihnen ein Gespräch mit dem Akustiker ihres Vertrauens.

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in der Juniausgabe des Magazins „BM Innenausbau / Möbel / Bauelemente“: https://www.bm-online.de/

PDF Version des Artikels zum Download:
2023-06-01 BM-NEWWORK